Rollenwechsel - Luises Sicht

verfasst von Luise Lanze

Ich hörte mich mit fordernder Stimme sagen: “Und jetzt zieh dich aus.“ Olaf schaute mich mit großen ungläubigen Augen und einem unsicheren Grinsen an. Daraufhin kicherten zwei neben uns sitzende junge Mädchen und auch ich fing an zu lachen.

 

Wie kam es zu dieser kuriosen Situation?

 

Olaf und ich hatten uns vor zwei Wochen zum Fotografieren verabredet. Er als Model und ich als Fotografin. Nach unserem letzten und ersten Rollentausch hatten wir beide Blut geleckt. Für uns stand fest, dass wir dies gerne wiederholen würden. So saßen wir schon einige Tage bevor es losging zusammen und überlegten uns fieberhaft Szenerien, wanderten durch Rheine, um die besten Locations zu finden, überlegten uns zusammenpassende Kleidung und ließen uns von Filmen inspirieren, um ein gemeinsames Verständnis von der Stimmung und der Bildwirkung zu bekommen. Das Planen und der Prozess dahin verursacht bei uns beiden immer eine wahnsinnige Vorfreude und Begeisterung. Um es sprachlich anschaulich zu formulieren, kann man sich das Ganze so vorstellen wie zwei Zahnräder, die ineinandergreifen und sich langsam anfangen zu drehen, erst langsam und dann immer schneller, weil ein Gedankengang zum nächsten bei dem jeweils andern führt. So saßen wir nun nach all der theoretischen Vorbereitung am Donnerstagmorgen zusammen im Auto.

Ich war nervös.

Wir hatten einen ganzen Tag eingeplant, erst hier in Rheine und dann in Duisburg. Als ich ins Auto zu Olaf einstieg, grinste ich ihn zur Begrüßung an und schluckte meine Nervosität runter, er grinste ebenfalls. Olaf hatte mir alles über Blende, Brennweite, Verschlusszeit, ISO und Lichtverhältnisse erklärt. Ich hatte somit alle wichtigen theoretischen Grundlagen, es kam also darauf an, wie gut ich diese praktisch umsetzten konnte. Draußen bei wechselnden Verhältnissen, neuen unbekannten Locations und unterschiedlichen Lichtqualitäten. Als wir losfuhren, bemerkte ich, wie durcheinander auch Olaf an diesem Morgen zu sein schien, wir bogen einmal falsch ab und ich lotste ihn letztendlich dann in das richtige Parkhaus, um dort den falschen Parkautomaten weiter unten auf der Rampe zu drangsalieren und dann festzustellen, dass der richtige weiter oben zu finden war. Mich beruhigte genau diese Tatsache, dass Olaf mindestens genauso nervös war wie ich. Also packten wir unser gesamtes Zeug aus dem Kofferraum und stiefelten hoch aufs Dach. Es war viel zu kalt für mein Empfinden, ein Grad. Ich schaute mich um, suchte direkt instinktiv nach Vordergründen und Winkeln, die ich mitnehmen konnte. Ich  rannte mit der Kamera in der Hand los und beäugte durch diese die vor mir liegende Location. Schwierig dachte ich. Das machte es nun wirklich nicht einfacher, denn es gab wenig, was ich als Vordergrund verwenden konnte. Also drapierte ich Olaf auf die von mir als gut empfundenen Stellen und er legte los. Es ist unglaublich, was Olaf an Posing und Mimik aus dem Ärmel schütteln kann. Ich stand also vor ihm und versuchte genau diese Grandiosität von ihm einzufangen. Nach kurzer Zeit tränten meine Augen durch die Kälte und ich musste den Bildschirm der Kamera einschalten, weil ich nicht mehr durch den Sucher schauen konnte. Meine Finger waren ebenfalls eingefroren.

 

Jetzt bekam ich wieder ein bisschen Panik.

Ich hatte vorher schon versucht, die Kamera mit Handschuhen zu bedienen, aber das war ein kläglicher Versuch gewesen. Mit Handschuhen ließ sie sich einfach nicht richtig bedienen und ich gab es schnell auf und zog sie wieder aus. Ich verfluchte innerlich meine Kälteempfindlichkeit. Nach einer Weile hatten wir uns dann doch an die Location gewöhnt und ich fand gute Positionen, mit denen ich zufrieden war. Als wir dort fertig waren, waren wir beide froh, wieder im Auto zu sitzen. Olaf schaltete für mich die Sitzheizung ein, wofür ich ihm sehr dankbar war und mir wurde, als ich wärmend im Auto saß, mal wieder bewusst, dass Fotografie absolute Teamarbeit ist. Das Model kann absolut genial posen, aber wenn die Perspektive nicht stimmt, sind die Bilder auch nichts. Andersherum ist es natürlich genauso. Ich hatte es leider auf dem Parkdeck nicht geschafft, alles so einzufangen, wie ich es wollte, die Kälte und die neue Location hatten mich mehr aus dem Takt gebracht, als ich es erwartet hatte. Es wurmte mich auch ein wenig, dass wir dort mit dem 70-200 Objektiv zum Teil auf großer Distanz arbeiten mussten. Es fiel mir dadurch schwerer, den Flow zu greifen, der sonst so selbstverständlich zwischen mir und Olaf entsteht, wenn wir zusammenarbeiten. Dennoch hatten wir ein paar wirklich gute Bilder gemacht und mir war natürlich klar, dass nicht immer alles so funktioniert, wie man es sich ausmalt. Die nächste Location, die wir ansteuerten, passte, um es kurz zusammenzufassen, nicht so ins Bild, wie wir es erwartet hatten. Eigentlich waren wir schon wieder im Gehen, als mir noch eine neue Möglichkeit auffiel, es hatte nichts mit unserer ursprünglichen Idee gemein, hatte aber einen irgendwie französischen Look. Skeptisch blickte mich Olaf an, während ich vor Begeisterung strahlte. Nach ein paar geschulten Blicken von ihm auf den Bildschirm der Kamera flammte Begeisterung auch in seinen Augen auf und da war er wieder, dieser Flow.

Auf dem Weg zum Landschaftspark wechselten die Themen wie eh und je sprunghaft von Kommunikation, Gesellschaft, Fotografie, Biologie zu Geschichte und wieder zurück. Je bunter, desto begeisterter vertiefen wir uns in Fragestellungen und Thematiken. Enthusiastisch durch unseren Erfolg bei der zweiten Location und unseren wilden Gesprächen während der Fahrt stolperten wir beide in den Park hinein. Vom eigentlichen Thema völlig abgekommen, fanden wir direkt großartige Plätze, ich probierte mich ein wenig an den Perspektiven, indem ich um Olaf herumstolzierte, während er starke Posen zeigte und ich mich zwischendurch voller Freude auf den Boden in den Dreck schmiss. Immer mal wieder sah man aus den Augenwinkeln, dass Menschen interessiert und verwundert zu uns herüberblickten. Ich vermute, es lag an dem ungewohnten Bild: junge Frau am Fotografieren und älterer Mann als Model. Das war definitiv amüsant, denn schon bald fingen wir an, mit den Klischees zu spielen. Wir waren angekommen. In unserem Flow, der das Ganze immer zu einem unvergesslichen und unvergleichlichen Erlebnis werden lässt. Als wir den Park umrundeten, zeigte Olaf mir einen alten Rundbogen der eine tolle Perspektive bot. Die zwei oben im Text schon erwähnten jungen Mädchen saßen dort auf einer Mauer und schauten interessiert zu uns herüber. Ich machte ein paar Probebilder und stellte dabei jedoch schnell fest, dass es definitiv besser wirken würde, wenn Olaf seinen Oberkörper frei machen würde. Da Olaf schon zu Beginn zu den beiden scherzhaft gesagt hatte, dass sie sich doch später besser einen richtigen Job suchen sollten, anstatt für das Fotografieren bezahlt zu werden, fand ich es nur lustig, das Spiel auf die Spitze zu treiben, zumal es nun auch wirklich für die Bilder erforderlich war, sich zu entblößen.

 

Nach meiner unverschämten und wenig charmanten Aufforderung stand Olaf also oberkörperfrei vor kicherndem Publikum und spielte seine Rolle trotz dessen exzellent. Als ich dann noch kommentierte, er solle mit seinem Gürtel „spielen“, war es endgültig um die beiden Mädels geschehen. Sein Gesicht wurde rot und er fragte: „Was soll ich bitte machen!?“, obwohl er mich richtig verstanden hatte. Damit das nicht genug war, forderten nun auch die beiden Mädchen ihn im Chor auf, er solle doch endlich das tun, was ich von ihm so unverblümt verlangt hatte. „Dafür wirst du schließlich bezahlt.“ presste ich noch kichernd heraus. Als wir die Location verließen, warf Olaf mir einen halb vorwurfsvollen Blick zu. Ich grinste und war sehr zufrieden mit allem. Später musste er das dann noch einige weitere Male ohne Publikum ertragen und ich bin wirklich nachhaltig beeindruckt von seinem unerschrockenen Einsatz und seinem Talent. Zuletzt ist noch zu sagen, es hat mir unfassbare Freude bereitet und ich wünsche euch, falls ihr es bis hierher geschafft habt, viel Freude beim Betrachten der Bilder.

Olaf Korbanek